Weise Worte

Die Geschichte vom Indianer und der Grille

Ein Indianer, der in einem Reservat weit von der nächsten Stadt entfernt wohnte, besuchte das erste Mal seinen weißen Bruder in der großen Metropole. Er war sehr verwirrt vom vielen Lärm, von der Hektik und vom Gestank in den Strassenschluchten. Als sie nun durch die Einkaufsstrasse mit den großen Schaufenstern spazierten, blieb der Indianer plötzlich stehen und horchte auf. „Was hast du“, fragte ihn sein Freund. „Ich höre irgendwo eine Grille zirpen“, antwortete der Indianer. „Das ist unmöglich“, lachte der Weise. „Erstens gibt es hier in der Stadt keine Grillen und zweitens würde ihr Geräusch in diesem Lärm untergehen.“

Der Indianer ließ sich jedoch nicht beirren und folgte dem Zirpen. Sie kamen zu einem älteren Haus dessen Wand ganz mit Efeu überwachsen war. Der Indianer teilte die Blätter und tatsächlich: Da sass eine große Grille. „Ihr Indianer habt eben einfach ein viel besseres Gehör“, sagte der Weise im weitergehen. „Unsinn“, erwiderte sein Freund vom Land. „Ich werde Dir das Gegenteil beweisen“.

Er nahm eine kleine Münze aus seiner Tasche und warf sie auf den Boden. Ein leises „Pling“ ließ sich vernehmen. Selbst einige Passanten, die mehr als zehn Meter entfernt standen, drehten sich augenblicklich um und schauten in die Richtung, aus der sie das Geräusch gehört hatten. „Siehst Du mein Freund, es liegt nicht am Gehör. Was wir wahrnehmen können oder nicht liegt ausschließlich an der Richtung unserer Aufmerksamkeit. | Quelle unbekannt

Die Todesliste des Bären – oder die Kunst, die „richtige“ Frage zu stellen

Großer Aufregung im Wald! Es geht das Gerücht um, der Bär habe eine Todesliste. Alle fragen sich wer denn nun da drauf steht. Als erster nimmt der Hirsch allen Mut zusammen und geht zum Bären und fragt ihn: „Entschuldige Bär, eine Frage: Steh ich auch auf deiner Liste?“ „Ja“, sagt der Bär, „du stehst auch auf meiner Liste.“ Voll Angst dreht sich der Hirsch um und läuft weg. Und tatsächlich, nach zwei Tagen wird der Hirsch tot gefunden.

Die Angst bei den Waldbewohnern steigt immer mehr und die Gerüchteküche auf die Frage, wer denn nun auf der Liste steht, brodelt. Das Wildschwein ist das nächste Tier, dem der Geduldsfaden reißt und den Bären aufsucht um ihn zu fragen, ob es auch auf der Liste stehen würde. „Ja, auch du stehst auf meiner Liste“, antwortet der Bär. Verschreckt verabschiedet sich das Wildschwein vom Bären. Auch das Wildschwein fand man nach zwei Tagen tot auf.

Nun bricht Panik bei den Waldbewohnern aus. Nur der Hase traut sich noch zum Bären. „Hey Bär, steh ich auch auf deiner Liste?“ – „Ja, auch du stehst auf meiner Liste!“
„Kannst du mich da streichen?“ –  „Ja klar, kein Problem!“ | Quelle unbekannt

Von der Wüste, dem Strom und dem Wind

Ein Strom wollte durch die Wüste zum Meer. Doch so schnell er auch in den Sand fliessen mochte, seine Wasser wurden dabei aufgesogen und verschwanden. Da hörte er eine Stimme, die aus der Wüste kam und sagte: „Der Wind durchquert die Wüste, und der Strom kann es auch. Du musst dem Wind erlauben, dich zu deinem Bestimmungsort hinüberzutragen.“ – „Aber wie sollte das zugehen?“ – „In dem du dich von ihm aufnehmen lässt.“ – „Aber kann ich nicht derselbe Fluss bleiben, der ich bin?“ – „In keinem Fall kannst du bleiben, was du bist“, flüsterte die geheimnisvolle Stimme. „Was wahrhaft wesentlich ist an dir, wird fortgetragen und bildet wieder einen Strom.“

Und der Fluss liess seinen Dunst aufsteigen in die Arme des Windes, der ihn willkommen hiess, sachte und leicht aufwärts trug und ihn, sobald sie den Gipfel des Gebirges erreicht hatten, wieder sanft herabfallen liess. Schöner und frischer als je zuvor. | Sufi-Weisheit

Ich gehe einen Weg

    1. Ich gehe dem Weg entlang. Da ist ein tiefes Loch. Ich falle hinein. Ich bin verloren…Ich bin ohne Hoffnung. Es ist nicht meine Schuld. Es dauert endlos, um wieder herauszukommen.
    2. Ich gehe denselben Weg entlang. Da ist ein tiefes Loch. Ich tue so, als sähe ich es nicht. Ich falle wieder hinein. Ich kann nicht glauben, schon wieder am gleichen Ort zu sein. Aber es ist nicht meine Schuld. Immer noch dauert es sehr lange, herauszukommen.
    3. Ich gehe denselben Weg entlang. Da ist ein tiefes Loch. Ich sehe es. Ich falle immer noch hinein…aus Gewohnheit. Meine Augen sind offen. Ich weiss, wo ich bin. Es ist meine eigene Verantwortung. Ich komme sofort wieder heraus.
    4. Ich gehe denselben Weg entlang. Da ist ein tiefes Loch. Ich gehe drumherum.
    5. Ich gehe einen anderen Weg. | Sogyal Rinpoche

Der Wunderbaum

Ein Wanderer machte Rast nach einem anstrengenden Tag. Er setzte sich unter einen Baum und ruhte sein müden Füsse aus. «Wie schön wäre jetzt ein kühles Getränk», dachte er – das stand schon eine Karaffe vor ihm. der Mann nahm einen grossen Schluck und dachte: «Das ist ja wunderbar. Etwas zu essen dazu wäre auch nicht schlecht.»
Und da auch dieser Wunsch sofort erfüllt wurde, wünschte er sich noch einen bequemen Sessel, Musik und eine köstliche Festtafel … Als er keinen Bissen und keinen Schluck mehr hinunter bekam, dachte er: «Wenn ich jetzt ein Bett hätte, wie schön wäre das», und schon lag er in einem grossen weichen Bett. Kurz bevor er einschlief, dachte er noch: «Wenn jetzt ein Tiger kommt …» | Quelle unbekannt

Das Angebot

Ein junger Mann betrat im Traum den Laden eines Weisen. Hinter der Theke stand ein bescheiden gekleideter, älterer Mann. Hastig fragte er ihn: «Was verkaufen Sie, mein Herr?». Der Weise antwortete ihm freundlich: «Alles, was Sie haben wollen.» Sofort begann der junge Mann aufzuzählen: «Dann hätte ich gerne den Weltfrieden, die Beseitigung der Armut, mehr Einheit und Liebe zwischen den Religionen, die Abschaffung von Vorurteilen, gleiche Rechte für Mann und Frau und …» Da fiel ihm der Weise bestimmt und freundlich ins Wort: «Entschuldigen Sie, junger Mann: Sie müssen mich richtig verstehen. Wir verkaufen keinerlei Früchte, wir verkaufen nur den Samen.» | Quelle unbekannt

Bohnen des Dankes

Man erzählt sich die Geschichte von einer Weisen, die sehr alt wurde und tief glücklich lebte.

Sie war eine grosse Lebensgeniesserin und verliess das Haus nie, ohne sich eine handvoll Bohnen einzustecken. Sie tat dies nicht um die Bohnen zu kauen. Nein, sie nahm sie mit, um die schönen Momente des Lebens bewusster wahrnehmen und um sie besser zählen zu können.

Für jede Kleinigkeit, die sie tagsüber erlebte – zum Beispiel einen fröhlichen Schwatz auf der Strasse, ein köstliches Brot, einen Moment der Stille, das Lachen eines Menschen, eine Tasse Kaffee, eine Berührung des Herzens, einen schattigen Platz in der Mittagshitze, das Zwitschern eines Vogels – , für alles, was die Sinne und das Herz erfreute, liess sie eine Bohne von der rechten in die linke Jackentasche wandern. Manchmal waren es gleich zwei oder drei. Abends dann sass sie Zuhause und zählte die Bohnen aus der linken Jackentasche. Sie zelebrierte diese Minuten.

So führte sie sich vor Augen, wie viel Schönes ihr an diesem Tag widerfahren war und freute sich. Und sogar an einem Abend an dem sie bloss eine Bohne zählte, war der Tag gelungen – es hatte sich gelohnt, ihn zu leben. | Afrikanische Weisheit